Projektgruppe
»Münchner Sicherheitskonferenz verändern« e.V.

Unsere Vision ist eine Münchner Konferenz für Friedenspolitik
Our Vision is a Munich Conference for Peace Policy

Konferenzbeobachtung

24.02.2024 Beobachtungsbericht Ralf Becker zur MSC 2024

Ich habe eine vielfältige MSC wahrgenommen:

1.  Die MSC als Hochamt militärischer Sicherheitslogik
Einerseits wirkte die aktuelle MSC als Hochamt militärischer Sicherheitslogik. Uniformierte Bundeswehrsoldat*innen prägten das Bild, auch Dr. Benedikt Franke, der stellv. Vorsitzende und CEO der MSC, trug die ersten zwei Tage Uniform. In den aktuellen Kriegszeiten strahlten viele Teilnehmer*innen oberflächlich die verstärkte Gewissheit aus, dass allein militärische Stärke und Solidarität Sicherheit garantiere.

„Die transatlantischen Partner haben keine andere Wahl, als mehr in Verteidigung und militärische Abschreckung zu investieren und gleichzeitig Kooperation zum gegenseitigen Nutzen stärker auf politisch gleichgesinnte Staaten zu beschränken“ – diese Aussage des Vorsitzenden der MSC, Botschafter Christoph Heusgen, auf der der MSC vorangehenden Pressekonferenz prägte das gesamte Treffen.

Ebenso wie Aussagen des Außenbeauftragten der EU Josep Borrell „Wir sind im Krieg“ und eine während der MSC zitierte, offenbar von ihm im ukrainischen Parlament getätigte Aussage „Wir unterstützen die Ukraine mit allem, was es braucht, damit die Ukraine gewinnt.“

Der Titel des MSC-Berichts 2024 „Lose-Lose?“ beschreibt eine Art Teufelskreis, da viele Menschen weltweit derzeit glauben, im Vergleich zu anderen zu verlieren. Mangels konstruktiver Vorstellungskraft war die MSC entsprechend bemüht, die westlichen Reihen zu wachsender militärischer Stärke zu schließen.

2. Der globale Süden wehrt sich selbstbewusst gegen westliche Vereinnahmung
Der u.a. von Josep Borrell offen geäußerte Versuch, globale Südpartner im Ringen des „Global West“ gegen den „Global East“ (Russland und China) auf die Seite des Westens zu ziehen, wurde und wird von diesen selbstbewusst zurückgewiesen. Vertreter*innen sicherheitspolitischer Think Tanks aus dem Globalen Süden wiesen darauf hin, dass sie sich von Vertreter*innen des Westens immer noch von oben herab angesprochen fühlen.

Eine ehemalige Außenministerin Pakistans hat wie mehrere Friedensaktivist*innen aus Israel und anderen Teilen der Welt in den interaktiven Debatten betont, dass weitere Aufrüstung keine der weltweit dringenden Herausforderungen löst, sondern deren Lösung entscheidend erschwert.

An der MSC haben auch 8 Friedensnobelpreisträger*innen teilgenommen und realistische Möglichkeiten zum Paradigmenwechsel eingebracht. So hat der ehemalige Präsident Kolumbiens, Santos, überzeugend seinen inneren und äußeren Weg von militärischer Sicherheits- zur Friedenslogik beschrieben.

3. Dämmernde Ratlosigkeit
Es war zu spüren, dass es vielen Verantwortlichen mindestens unter der Oberfläche dämmert, dass es mit den alten militärischen Rezepten nicht mehr lange weiter gehen kann.  tagesschau.de titelte zur MSC entsprechend „Viel Ratlosigkeit“. Auf dem Abschlusspodium wurde das u.a. von der Finanz- und Wirtschaftsministerin Islands ausgesprochen: „Der Krieg in der Ukraine ist ein altmodischer Krieg. Wir brauchen Innovationen, um die weltweiten Herausforderungen zu bewältigen.“

Entgegen den auch auf der MSC lauten Stimmen aus Medien und Politik, die eine weitere militärische Aufrüstung auf weit über 2 % unserer Wirtschaftsleistung fordern, haben Bundesfinanzminister Lindner und Bundeskanzler Scholz deutlich moderatere Töne angeschlagen und keine weitere Erhöhung der Militärausgaben in Aussicht gestellt.

4. Das Aufscheinen weitsichtiger konstruktiver Konfliktbearbeitung – u.a. bezüglich des Krieges in Israel/Palästina
Neben hochkompetenten Austäuschen zahlreicher afrikanischer Vertreter*innen zur konstruktiven Bearbeitung von Konflikten in Afrika und dazu hilfreicher Unterstützung habe ich zu meiner Überraschung durchgehend einen sehr hochwertigen, fast idealen Dialog zum Israel-Palästina-Konflikt erlebt:

Die ehemalige Außenministerin Israels, Livni, und anwesende Angehörige der von der Hamas genommenen Geiseln konnten ihre traumatischen Erfahrungen ebenso vortragen wie der Premierminister Palästinas. Die Siedlergewalt in der Westbank wurde ebenso angesprochen wie das Sicherheitsbedürfnis aller Israelis und aller Palästinenser*innen.

Besonders überrascht hat mich das überzeugend konstruktive Auftreten des saudi-arabischen Außenministers Al Saud. Nahezu alle Beteiligten, darunter fast alle Außenminister der an einer möglichen Lösung beteiligten Staaten der Region, der USA, der EU und Indiens, sprachen überzeugend und glaubhaft von der Notwendigkeit der sofortigen Beendigung des Kriegs und der Schaffung dauerhaft wirksamer Sicherheitsperspektiven für Israel und Palästina u.a. in Form eines palästinensischen Staates – notfalls auch ohne Zustimmung des traumatisierten Israel.

Josep Borrell betonte, dass Hamas eine Idee ist, die man als Idee nicht töten kann. Es brauche eine bessere Idee. Ein ehemaliger israelischer Botschafter brachte sich ebenso als Friedensaktivist ein wie eine Vertreterin der Women Wage Peace aus Israel. Hinsichtlich des Israel/Palästina-Kriegs wagten westliche Vertreter*innen auch eine selbstkritische Betrachtung eigener Versäumnisse in der Vergangenheit.

Diese Art selbstkritischer Reflektion eigener Anteile des Westens an der gewaltvollen Konflikteskalation in der Ukraine war während der MSC nicht zu beobachten. Botschafter Heusgen betonte immerhin in der Pressekonferenz, dass der Ukrainekrieg nur durch Verhandlungen zu beenden sei, die sich an den Abkommen von Minsk orientieren könnten.

Parallel zu Veranstaltungen zum Thema „Militärischer Zeitgeist“ gab es auch Veranstaltungen zu Zivilem Widerstand in Belarus und den Möglichkeiten, diesen aus dem Ausland zu unterstützen. Angesichts des Framings (also der Einrahmung) dieses zivilen Widerstands in die weltweite militärische Dominanzpolitik der USA wurde die mögliche Kraft gewaltfreien Widerstands allerdings nicht sichtbar.

5. Erweiterter Sicherheitsbegriff als Markenkern der MSC
Inzwischen gehört der erweiterte Sicherheitsbegriff zum sichtbaren und öffentlich vertretenen Markenkern der MSC. Themen wie Klima-, Ernährungs- und Verschuldungssicherheit werden selbstverständlich mitgesehen und -diskutiert. Das war vor 20 Jahren deutlich anders. Die inzwischen 27 % Teilnehmenden aus dem Globalen Süden, die selbstbewusst ihre Perspektiven mit einbringen, sind sicher mit auf die Arbeit des MSKv zurückzuführen. Dass auf der MSC inzwischen 50 % Frauen sprechen, sehe ich als weitere sehr positive Entwicklung – auch wenn viele westliche (Premier-) Minister*innen unter ihnen derzeit leider sogar mehr als ihre männlichen Gesprächspartner in militärischer Aufrüstungslogik verfangen erscheinen.

6. Konkrete Schritte Richtung Sicherheit neu denken
Während der MSC konnte ich mich sowohl länger mit dem Chefredakteur einer großen deutschen Tageszeitung als auch mit dem Sekretär der Int. Konferenz der Große-Seen-Region in Afrika über den notwendigen Paradigmenwechsel von militärischer zu ziviler Sicherheitspolitik austauschen. Dabei konnten wir eine konkrete Zusammenarbeit der Int. Konferenz der afrikanischen Große-Seen-Region mit der Friedensuniversität Afrika zur Erarbeitung eines Rethinking-Security-Szenarios für die Region vereinbaren.

Darüber hinaus will sich eine Vertreterin der Hauptabteilung Politische Angelegenheiten und Friedenskonsolidierung (DPPA) der UNO gemeinsam mit uns für eine Weiterentwicklung der MSC in Richtung Sicherheit neu denken einsetzen.

Beachten Sie bitte auch mein Interview mit “nd-aktuell”: Interview mit nd

 

Ralf Becker koordiniert die in Deutschland und Europa von 150 Organisationen getragene zivilgesellschaftliche Initiative „sicherheitneudenken.de – von militärischer zu ziviler Sicherheitspolitik“.

20.02.2024: Beobachtungsbericht Matthias Linnemann zur MSC 2024

Allgemeine Eindrücke
Es war für mich die erste Teilnahme an einer Sicherheitskonferenz. Die Präsenz von Politik- und Medienprominenz war beeindruckend. Der Aufwand für Sicherheit (Polizei, Personenschutz) und die Zahl der Uniformträgerinnen und –träger eher irritierend.  Die Konferenz ist (gefühlt) für den Bayerischen Hof zu groß.

Inhaltliche Ausrichtung
Das Motto der Konferenz lautete „Lose – lose?“. Dahinter steckt der sehr einfache Gedanke, dass es global genau einen Kuchen einer definierten Größe zu verteilen gibt. Sobald einzelne Länder außerhalb der westlichen Hemisphäre ein größeres Stück des Kuchens beanspruchen (Ergänzung Matthias Linnemann: größer, als ihnen vom Westen zugedacht war), geht die Verteilung nicht mehr auf. Perspektivisch verlieren dann alle Länder. Die MSC nennt das „Verlust – Verlust – Dynamik“. Das umschreibt sehr gut das westliche Verständnis, aber auch die sich langsam durchsetzende Einsicht: Wie gehen wir damit um, dass der Einfluss der westlichen Industrienationen perspektivisch sinkt, während Länder wie China, Indien, Indonesien und auch der Afrikanische Kontinent an Bedeutung gewinnen werden?

Dieses Thema hat viele Veranstaltungen geprägt. Es wurde nach dem „Silberstreif am Horizont“ gesucht. Darüber hinaus standen natürlich die Kriege in der Ukraine und in Israel/Gaza im Mittelpunkt. Es gab aber auch verschiedene Veranstaltungen zu anderen Brennpunkten, wie Haiti, Sahel/Sudan. Auch der Umgang mit den Auswirkungen klimatischer Veränderungen wurde thematisiert.

Was mir auffiel
Die Konferenz wurde sehr stark von einer Person dominiert, die gar nicht anwesend war: Wladimir Putin. Unglaublich, wie häufig der Name gefallen ist. Kaum vorstellbar, dass z.B. die BRICS-Staaten eine Konferenz zum Thema Sicherheit ausrichten und dort dauernd der Name Joe Biden fällt.

Es hat meines Erachtens verdeutlicht, dass sich die NATO-Staaten mit Blick auf die Ukraine und die sich daraus entwickeln-den globalen Machtverschiebungen in einer Art Panikmodus befinden. Die Antworten darauf sind allerdings sehr beschränkt: Aufrüsten, aufrüsten, aufrüsten.

Sicherheit, die sich ausschließlich aus militärischer Stärke ableitet, ist weiterhin das Patentrezept. Dass die NATO in den letzten Jahren jeweils ca. 3x so viel Geld für Rüstung ausgegeben hat, wie China und Russland zusammen, spielt dabei keine Rolle. 1,3 Billionen USD der NATO allein in 2023 haben keinen Krieg beendet und auch keinen verhindert. Warum Diploma-tie, wenn wir auch schießen können? „Kriegstüchtigkeit“ in ausnahmslos allen Bereichen  ist das Gebot der Stunde. Widerspruch ist unerwünscht.

Es klangen sogar Forderungen nach europäischen Atomwaffen und nach einer weiteren Militarisierung des Weltraums durch. Kritische oder zumindest mäßigende Stimmen habe ich dazu nicht vernommen.

Was mir sehr positiv auffiel
Es wurde kontrovers diskutiert. Es wurden abweichende Meinungen (soweit es welche gab) zugelassen. Ich habe inhaltlich gute Gespräche zum Krieg in Israel/Gaza erlebt. Sehr interessant die Diskussion mit den Außenministern Saudi-Arabiens und Ägyptens und deren Positionen zum Krieg in Gaza. Hörenswert auch die Sicht des Ministerpräsidenten Palästinas, Mohammed Schtajjeh, und des jordanischen Außenministers Ayman Safadi. Die Organisation „Women wage Peace“, bei der sich israelische und palästinensische Frauen gemeinsam für Frieden einsetzen, durfte ein Statement abgeben und für ein Ende der Auseinandersetzungen werben. Das war ein sehr positives Signal der MSC-Organisatoren. Auf der Internetseite der Münchner Sicherheitskonferenz ->  securityconference.org  können viele dieser Reden und Diskussionsbeiträge abgerufen werden. Unbedingt empfehlenswert!

Auch wenn die Beiträge der USA, der EU und erwartungsgemäß Deutschlands weder mit Blick auf die Menschen in der Ukraine noch in Israel/Gaza wirklich substanziell oder gar hilfreich waren, so sind doch zumindest zu Israel inzwischen auch von westlichen Politikern deutlich kritischere Positionen zu den militärischen Aktivitäten der Israelis durchzuhören.

Mein persönliches Fazit
Die Sicherheitskonferenz ist keine Friedenskonferenz. Sicherheit meint hier nicht unbedingt die Sicherheit von „normalen Menschen“. Es geht um die militärische Absicherung des westlichen Geschäftsmodells. Dieses Geschäftsmodell wird mit Blick auf die aufstrebenden Staaten außerhalb der westlichen Hemisphäre aber nicht dauerhaft funktionieren. Die Reaktion des Westens darauf ist allerdings nicht der Dialog, sondern die Konfrontation. Und für mehr Konfrontation werden mehr Waffen benötigt.

Die EU hat sich entschieden, diesen Weg mitzugehen und aus der Tatsache, dass die USA ihre Position als Hegemonialmacht früher oder später verlieren werden, Vorteile zu ziehen. Ob das gelingt, ist offen. Zweifel sind angebracht. Der Weg dorthin wird für die EU ganz sicher sehr teuer und auch gefährlich.

Wenn die MSC nicht so stark an die USA und die NATO angelehnt wäre, könnte sie eine ernstzunehmende Moderationsrolle unter Einbeziehung Chinas und auch Russlands spielen. Was wäre das für eine Schlagzeile, wenn am Rande der MSC ein Waffenstillstand in der Ukraine oder in Gaza ausgehandelt worden wäre. Dazu fehlt den MSC-Verantwortlichen nach meinem Eindruck aber die Vision. Und vermutlich auch der Mut.

Matthias Linnemann
Projektgruppe “Münchner Sicherheitskonferenz verändern” e.V.

Konferenzbeobachtung 2024

MSC-Konferenzbeobachtung unseres Vereins (DO, 15.02. – SO, 18.02.2024)

Ralf Becker (sicherheitneudenken.de) und Matthias Linnemann (mskveraendern.de) werden in diesem Jahr unsere Beobachter der MSC sein.


Nachbetrachtung der MSKv-Konferenz-Beobachter zur MSC (SO, 18.02.2024, 17.00 Uhr)

Im Haus der Kulturen und Religionen wird es unsere Nachbetrachtung der MSC geben. Unsere Konferenzbeobachter, Ralf Becker und Matthias Linnemann, werden ihre Eindrücke schildern und Ihre Fragen beantworten.

Direkt anschließend findet dort das Friedensgebet der Religionen – siehe unten Pkt. 6 – statt.

Termin: SO, 18.02.24, 17.00
Ort: Haus der Kulturen und Religionen, Nazarethkirche, Barbarossastraße 3, München
U-Bahn: U4 Böhmerwaldplatz – 5 Minuten zu Fuß

 

Im Anschluss an die Sicherheitskonferenz veröffentlichen wir hier die Berichte der Konferenzbeobachter.

 

17.02.2020: Beobachtungsbericht von Anja Ufermann zur Münchner Sicherheitskonferenz 2020

Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens,

„Westlessness“ so lautete der provokante Titel der 56. Münchner Sicherheitskonferenz und sollte dazu einladen, sich mit der Rolle des Westens in der Welt auseinanderzusetzen. Die Debatte hatte für mich wenig Nahrhaftes. Der Titel wurde vielfach aufgegriffen. Negativ formulierte Titel führen aus meiner Erfahrung jedoch selten zu positiven Visionen oder konkreten gemeinsamen Strategiekonzepten, sondern eher zu Vereinzelung in unterschiedlich ausgeformten Positionen. So entstanden Diskussionen, wer mit „west“ überhaupt gemeint ist – Europa, die EU, Europa plus Amerika, die NATO…..? – oder was mit „west“ überhaupt gemeint ist: Geographisches, Kulturelles, Werteverbundenes? Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer bezeichnete Europa als attraktiv. Staatssekretär Pompeo meinte, der Westen gewinne.

Ob WestFULLness die derzeitigen Herausforderungen lösen kann, halte ich zudem für unwahrscheinlich. Letztlich muss das in den vergangenen Jahren verlorengegangene Vertrauen weltweit wieder aufgebaut werden (Trustfullness) und „a trustworthy West“ – ein vertrauenswürdiger Westen – wäre da sicherlich ein hilfreicher Akteur.

Davon scheinen wir jedoch weit entfernt. Nachdem auf der letzten Sicherheitskonferenz viel von „Trust“ (Vertrauen) gesprochen wurde, wurde das Wort in diesem Jahr durch das Wort „Confidence“, was Zuversicht oder Selbstvertrauen bedeutet, ersetzt. Es fehlen konkrete Maßnahmen, Vertrauen wieder aufzubauen, es fehlen Mitspieler, die sich daran beteiligen. Was bleibt ist Zuversicht? Bundespräsident Steinmeier merkte in seiner Rede kritisch an: „Als ob an alle gedacht sei, wenn ein jeder an sich denkt.“

Vielfältig diskutiert wurde, wer überhaupt mit am Tisch sitzen darf. Auch in Europa ist die Meinung weit verbreitet, dass nur derjenige ernstgenommen wird, der nukleare Waffen oder ein anderweitig gut ausgestattetes Waffenarsenal besitzt. Führt nicht genau diese Haltung zu weiterer Aufrüstung in allen Ländern und damit verbunden zu weiterer Unsicherheit anstatt zu Stabilisierung? Ich teile die Haltung des ukrainischen Präsidenten Selenskyis, der in seiner beachtenswerten Rede sagte: „Es ist unmöglich, neue Weltregeln auf der Basis liberaler Werte zu schaffen, wenn nur ausgewählte Länder eingeladen werden, darauf aufzubauen, die über ein Atomwaffenarsenal oder ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Entwicklung verfügen. Die Probleme der Menschheit sollten von allen Mitgliedern der Menschheit angegangen werden.“

Ein positives Signal dazu war die Verleihung des Ewald von Kleist Awards an die Vereinten Nationen. Der nach außen sichtbare wirksamste Moment der MSC 2020 war das Gespräch zwischen dem Präsidenten von Aserbaidschan und dem Premierminister von Armenien.

Mit welcher Bandbreite an Herausforderungen die Menschheit zur Zeit konfrontiert ist, zeigte das breite Themenspektrum der Münchner Sicherheitskonferenz, auf der u.a. folgende Themen auf der Agenda standen:

Arktische Sicherheit, Berg-Karabach, Coronavirus-Ausbruch, Cybersicherheit, Deeskalation am Golf, Digitales Zeitalter, Drogen, Energiesicherheit, Ernährung, Europa, Frauen/Frieden und Sicherheit, Gesundheitssicherheit, Große Daten, Iran, Kartelle, Klimawandel und Sicherheit, Künstliche Intelligenz, libyscher Konflikt, menschliche Sicherheit, Palästina, Rüstungskontrolle, Sahel, Sicherheit auf dem Balkan, Sicherheitsbeziehungen in Asien, Sicherheit in Saudi-Arabien, Soziale Medien und Demokratie, technologische Sicherheit, transnationale Sicherheitsfragen, Ukraine, US-Außenpolitik, Welthandel, Wirtschafts- und Ressourcensicherheit, Zentralasien, Zustand der Demokratie im Westen, Zukunft der Desinformation, Zukunft der Diplomatie 

Gemeinsame Vereinbarungen oder Verpflichtungserklärungen in Bezug auf konkrete Handlungsstrategien blieben jedoch aus.

Der rasche Fortschritt in der Technologie-Entwicklung sowie die wachsende Einflussnahme-Möglichkeit durch soziale Medien bedarf ein Formulieren von internationalen Standards, hier steht die Politik noch am Anfang.

Die Aufgaben dieses Jahrzehnts verlangen Flexibilität im Handeln und in der Zusammenarbeit. Es gilt jeweils zu definieren: Was ist das Problem? Wer ist involviert? Und auf welche gemeinsamen Strategien können die Betroffenen sich einigen? Der armenische Präsident Sarkissian erläuterte in seinem Beitrag zu „on Quantum Politics“ die Notwendigkeit eines „thinking out of the box“, der Entwicklung völlig neuer Herangehensweisen. Die komplexe Natur heutiger Probleme erfordert komplexe Lösungsansätze – auch hier steht die Politik noch am Anfang.

Da, wo die Politik nicht vorankommt in Bezug auf Kooperation und Vertrauensbildung, müssen NGO’s und Firmen sowie die Bevölkerung vorangehen. So versucht ICAN Deutschland, u.a. mit dem Städteappell, die Regierung mit Druck von unten zu unterstützen, weil diese sich schwer tut, den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen, aus Sorge, die aktuelle amerikanische Regierung zu verstimmen. Greenpeace ist Kooperationspartner des „Humanitären Kongresses“ von Ärzte ohne Grenzen, dem Deutschen Roten Kreuz, Ärzte der Welt und der Ärztekammer, in dem es um die humanitären Auswirkungen der Klimakrise geht. Bürgermeister und Kommunen beginnen sich zusammenzuschließen, weil die Klimakrise eine globale Krise ist. Und auch in der Bevölkerung gibt es weltweite Aktivitäten wie Fridays for Future, One billion rising u.a..

Wir alle sind aufgefordert, uns zu engagieren, aktiv zu werden. Unsere Politikerinnen und Politiker benötigen unsere Unterstützung. Wir können es uns nicht (mehr) leisten, sie allein zu lassen.
Wie könnte Ihr Beitrag aussehen? Wir freuen uns auf Ihre Reaktionen und grüßen Sie!

Anja Ufermann
Zert. Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation
Vorstand der Projektgruppe “Münchner Sicherheitskonferenz verändern” e.V.

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